Niederlausitzer Fundgrube

Der Heimatwanderer Nr. 8 / 1926

Aus Sonnewalde´s alten Tagen.
Rentmeister Hennecke, Sonnewalde.

Der Wanderer, der von Sonnewalde kommt und auf der Kreisstraße nach Finsterwalde geht, findet in der Nähe der letzten Häuser der Stadt Sonnewalde einen etwa ½ Meter hohen Granitstein mit einem roh eingehauenen Kreuz, link an der Straße stehend. Dieser Stein deutet schon durch seine ganze Art ein sehr hohes Alter an. Es ist ein Gedenkstein, der die Erinnerung an eine vor alter Zeit begangene schwere Bluttat wachhalten soll. Wenn früher jemand, durch die Schuld eines anderen, um das Leben kam, so war es üblich, eine Sühnung durch Geldeswert, neben der Bestrafung durch den Staat, in ganz alten Zeiten sogar ausschließlich die Sühnung durch Geldeswert als sogenanntes Wer- bezw. Leutgeld zu fordern. Jemehr die staatliche Rechtspflege sich der Sühnung solcher Taten annahm, jemehr schwand auch die Gewohnheit, durch Wergeldzahlung eine Bluttat abzugelten. Jahrhundertelang hielt sich aber noch der Brauch, und diesen haben wir als den letzten Rest des Wergeldes anzusehen, dem Getöteten einen Stein zur Erinnerung an das an ihm begangene Verbrechen am Tatorte zu setzen.
Im Jahre 1595 verstarb ein in einem Dorfe der Gegend Sonnewaldes ansässig gewesener Lehnsbauer. Derselbe hinterlies einen Sohn mit Vornamen Hyronymus als einzigen Leibeserben. Bald nach dem Tode dieses vorgenannten Bauern kam der in die Fremde gegangene und als verschollen angesehene Bruder des Erblassers in die Heimat zurück. Er fand seinen Neffen im Besitz des Lehnshofes, an den er glaubte Forderungen zu haben und deren Begleichung er verlangte.
Es kam hierüber zu ernsten Zerwürfnissen zwischen Onkel und Neffen, sodaß das Gericht, das sich damals in Sonnewalde befand, zur Schlichtung der Erbstreitigkeiten angerufen wurde.
Als beide Parteien dicht vor dem Kirchhainer Tor der damaligen Festung Sonnewalde zusammentrafen, um gemeinsam zur Gerichtsstelle zu gehen, gerieten sie wiederum in Streit, bei dem der jähzornige Neffe Hyronymus seinen Onkel durch 2 Stiche mit dem Brotmesser tötete.
In solch schweren Kriminalfällen war es in der Niederlausitz früher üblich, die höchste Gerichtstafel, die einmal monatlich in Dresden tagte, um eine Sentenz anzugehen.
Diese Gerichtstafel entschied im Monat September 1595:
„Hat Inquisit bekennt und gestanden, daß er, Hyronymus X. seines Vaters Brudern, als er nach Sonnewalde gehen und ihn, den Gefangenen, verklagen wollte, nachgefolget und ihm mit seinem Brodt Messer zweene Stiche zum Hertzen, davon er alsbald gestorben, zugefüget. Da nun der Entleibete gewiß und in Wahrheit todt gefunden worden und der Gefangene würde auf seinem Bekenntnüß vor Gerichte freywillig verharren oder deß sonsten wie recht überwiesen, so möchte er von wegen solcher begangenen und bekannten Mordthat lebendig zur Freymbstatt geschleifft und folgends mit dem Schwerdte vom Leben zum Tode gestrafft werden.“
Das Urteil fiel der Sentenz gemäß aus, es wurde vollzogen und zur Erinnerung an die Jähzornstat ein Denkstein am Tatorte errichtet.



Der Heimatwanderer Nr. 12 1927

Ueber ein bisher unbeachtet gebliebenes steinernes Zeugnis mittelalterlichen Rechts in Sonnewalde.
Von W. Mielecke.

Wenn man Sonnewalde auf der Kunststraße in der Richtung auf Finsterwalde verläßt, kommt man etwa zehn Schritte hinter der letzten Scheune an einem größeren Steine vorbei, der aufgerichtet und weiß gekalkt linkerhand in der Baumreihe steht. Bei näherem Zusehen bemerkt man auf der natürlich geglätteten Oberfläche des Findlingsblockes aus schwärzlichem Granit die eingemeißelten Umrisse eines Kreuzes.
Die junge Welt weiß nichts mit diesem Steine anzufangen, aber die älterren Leute erzählen dem Wanderer wohl von dem russischen Offizier, der im Jahre 1813 an dieser Stelle zu Tode gekommen und hier begraben sei. Leider ist es mit dieser Erklärung nichts, abgesehen davon, daß es ziemlich unwahrscheinlich ist, daß man einen einzelnen Toten außerhalb einer Gefechtshandlung gleich am Straßenrande verscharrt hätte.
Neben dem Kreuz ist nämlich noch ein zweiter Gegenstand durch eingemeißelte Umrisse dargestellt; offenbar ein messerartiger Dolch mit sehr kennzeichnender Schiefstellung des Heftes. Dadurch ist klargestellt, daß wir in dem Stein ein „Mord-“ oder „Sühnekreuz“ zu sehen haben und zwar eins von den verhältnismäßig seltenen, die eine Darstellung der Mord- oder Totschlagwaffe tragen. Nur etwa 60 von 541 Kreuzen, die aus der Provinz Schlesien bekannt geworden sind, tragen bildliche Darstellungen, die als Speer, Schwert, Beil, Armbrust, Messer, Dreschflegel, Forke, Scheere und dergl. mehr gedeutet werden können. In welche von den 14 Sühnekreuzen, die Mucke erwähnt, etwa ähnliche Darstellungen eingegraben sind, kann nach den dürftigen Beschreibungen in den „Bausteinen zur Heimatkunde des Kreises Luckau“ nicht gesagt werden. Vielleicht nimmt sich ein Heimatfreund für den Bereich des Kreises Luckau einmal dieser Dinge an. Dazu würden auch notwendig Nachforschungen gehören, ob sich in den alten Gerichtsakten die Verhandlungen über die gerichtlich erzielte „Einigung“, damals composito genannt, zwischen dem Täter und den Hinterbliebenen des Getöteten finden. Zu den festgesetzten Bußen gehörte auch in der Regel die Errichtung eines Sühnekreuzes. „Einigungen sind von überall her bekannt geworden; nicht immer ist es dagegen gelungen, das zu der betreffenden Einigung gehörige Kreuz ausfindig zu machen.
Es muß zunächst überraschen, daß die mittelalterliche Rechtspflege für Diebstahl oft die Todesstrafe und für kleinere Vergehen und unglaublich streng dünkende Strafen verhängte, bei Totschlag aber und gar bei vorbedachtem Mord von Leibes- und Lebensstrafen häufig absah. Man wird aber nicht irren, wenn man vermutet, daß die christliche Kirche die althergebrachten, tief eingewurzelten Sitten der Blutrache und des Wehr- und Manngeldes verwandelt hat in die dem Täter aufzuerlegende Sorge für das Seelenheil des ohne Buße und Sündenvergebung aus dem Leben Gerissenen und in die Sorge um die wirtschaftliche Sicherung der Hinterbliebenen. Ein solcher Vorgang wäre nicht ohne Beispiel. Die den neubekehrten Deutschen ans Herz gewachsenen heidnischen Feste hat man als Kirchenfeste übernommen, die hilfreichen Götter in die Figur und das Gewand von Heiligen gekleidet. Außerdem wird eine waffenfrohere und kampfesmutigere Zeit, in der jedermann sein Schwert oder Messer im Gürtel trug, einen Mord aus nicht gewinnsüchtiger Absicht oder gar einen Totschlag nach voraufgegangenem Streit milder beurteilt haben. Aehnliche Anschauungen über den Zweikampf sind ja bis in unsere Tage lebendig geblieben. Findet sich doch ab und zu in den „Einigungen“ ausdrücklich die Bestimmung, daß nach erlegter Buße der Täter wieder ehrlich sein solle und daß ihm dann seine Tat nicht einmal mehr vorgehalten werden dürfte. In einer Zeit strengerer kirchlicher Anschauungen, strafferer Kirchenzucht und vor allem geringerer Bewegungsmöglichkeit und engerer Bindung an die Heimatscholle konnte man wohl den Täter nachhaltiger seinen Gewissensqualen überlassen und ihn lebenslang am Vermögen strafen, als wenn man ihn kurz entschlossen seinem Opfer nachgesandt hätte. Neben der Aufrichtung eines Sühnekreuzes mußte der Täter Messen lesen lassen für das Seelenheil seines Opfers, Wachs zu Kerzen an die Kirche geben, Wallfahrten nach näheren oder entfernteren Orten, sogar bis nach Jerusalem, unternehmen, die Kosten eines feierlichen Begräbnisses und des Arztes tragen und die Gerichtskosten übernehmen, zu denen auch merkwürdigerweise das in der Sitzung getrunkene Bier gehörte.
Der Brauch, Sühnekreuze zu errichten, wird im Wesentlichen durch den Wechsel in den kirchlichen und seelsorgerischen Anschauungen im Gefolge der Reformation außer Uebung gekommen sein. Später errichtete Kreuze und Bildstöcke sind Erinnerungszeichen, aber nicht wesentliche Bestandteile der „Sühne“. Sie tragen daher auch gewöhnlich im bewußten Gegensatz zum Sühnekreuz, das ja die Tat ungeschehen und vergessen machen soll, den Getöteten, die Tat und ihre Umstände schildernde Inschriften.
Wenn unser Stein ein „Sühnekreuz“ ist, was durch das abgebildete Mordwerkzeug wahrscheinlich gemacht wird und durch Auffindung einer entsprechenden „Einigung“ zur Gewißheit erhärtet werden könnte, so wird der Zeitpunkt seiner Aufrichtung spätestens in die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts zu setzen sein. Die Umstände sind der Auffindung der zugehörigen Urkunde vielleicht besonders günstig, als die Tat sicher vor dem Obergericht der ehemals reichsfreien Herrschaft Sonnewalde ihre Sühne gefunden hat. Die Kreisverwaltung aber möge dafür sorgen, daß der Stein an der augenblicklich für die Erhaltung nicht ungünstigen Stelle stehen bleibt und nicht einmal etwa aus Unkenntnis seines Wertes als Denkmal vergangener Zeiten zu Straßenschotter verarbeitet wird.